Frauen im Judentum

Veröffentlicht: 2010/12/07 in Nicht kategorisiert

Frauen im Judentum

Ein Blick auf die Frauen in der Tora, im Talmud, in der Geschichte und im Kultus belegt, daß sich das Bild Frau in den ersten drei Bereichen fundamental von dem der Frau im Kultus unterscheidet…
von Wolfgang Sunderbrink
Wer kennt dieses Bild nicht: die einzelnen Familien/Ehepaare gehen in die Synagoge, nach Durchschreiten der Türe trennen sich „Männlein und Weiblein“, um den Gottesdienst, getrennt durch einen Vorhang oder „unten und oben“ „gemeinsam“ zu erleben. Frauen zählen nicht zum Quorum, werden nicht zur Thora aufgerufen, und können von Glück sagen, wenn sie zur Bat/Bar-mizwa ihres Kindes den „Männerteil“ betreten dürfen. 

Hier noch ein persönliches Erlebnis, das schlaglichtartig die Probleme der Frauen beleuchtet. Ich vergesse nie den Satz, den mir meine Frau nach dem ersten Besuch in einer liberalen Gemeinde sagte: „Ich gehe nie mehr auf die Empore!“

Ein Blick auf die Frauen in der Tora, im Talmud, in der Geschichte und im Kultus belegt, daß sich das Bild Frau in den ersten drei Bereichen fundamental von dem der Frau im Kultus unterscheidet:

Bekannt ist, daß

  • sich Jüdischkeit über die Mutter definiert,
  • Frauen im Judentum bereits Namen hatten, als es die Römer noch nicht gab, die ihre Frauen nur als Teil einer bestimmten Familie definierten. Julia bedeutet heißt nichts anderes als den Hinweis, dass es sich um eine Frau aus dem Geschlecht der Julier handelt.
  • jüdische Frauen Erbrecht bereits zu einem Zeitpunkt hatten, als in anderen Kulturen daran noch lange nicht zu denken war. Bis in das 19. Jahrhundert n. Z. galt z. B. in Deutschland ein besonderes bäuerliches Erbrecht, das die Frauen vom Hoferbe ausschloss,
  • Frauen für die Beachtung der Kaschrut verantwortlich waren, also mindestens Lesen und Schreiben können mussten, während bei anderen Völkern diese Kenntnisse Herrscherwissen waren, das allein bestimmten Schichten vorbehalten war (so war z. B. Karl der Große Analphabet, der nur mühsam seinen Namen schreiben konnte, Bildung blieb bis in die Neuzeit den ,.gebildeten Ständen“ vorbehalten, das Monopol der Kirchen auf Bildung zerbrach erst mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht),
  • Frauen durch Ehevertrag geschützt waren, als in anderen Kulturen Frauen Handelsware waren.
  • keine jüdische Frau ohne ihre bewusste Mitwirkung geschieden werden konnte.

Beim Durchblättern der Bibel fallen sofort Frauennamen auf, die Büchern den Namen geben (Ruth, Esther). Die Bibel lesend, stolpert man geradezu über Frauennamen: Eva, Sara, Riwka, Rachel und Leah, Mirjam, Debora, Tamar, Rahab, Michal… Frauen als Mutter, Schwester, Geliebte, Richterin, Prophetin, Königin; dann :Akibas Frau, die ihren Mann ernährte und ihn werden ließ, was er werden mußte, ganz zu schweigen von den Händlerfrauen der neueren Zeit , den Politikerinnen (Rosa Luxemburg), den Schauspielerinnen und Dichterinnen.

Morgengebet! Das erste menschliche Lebewesen, das dort positiv definiert wird, ist die Frau. Über die Männer heißt es dreifach „schelo, also: daß ich nicht …“ Die Frauen beten „Der mich nach seinem Willen erschaffen.“ Auf diese Stelle wir später noch zurückzukommen sein.

Aus dem Talmud:
Rabbi Abbahu im Namen von Rabbi Jochanan: Sie fragten Rabbi Eli’eser: Wie weit geht das Ehren von Vater und Mutter? Er antwortete ihnen: Mich fragt ihr das? Geht und fragt den Dama ben Netina! Dama ben Netina war Vorsitzender der Ratsversammlung. Einmal schlug ihn seine Mutter vor dem versammelten Rat. Dabei fiel ihr ihre dazu benutzte Sandale aus der Hand; er aber hob sie für sie auf, damit sie sich nicht darum bemühen musste.

Die Mutter von Rabbi Tarfon stieg am Schabbat hinab ihren Hof, um dort umherzugehen. (Ihre Sandalen lösten sich, und sie durfte wegen des Schabbats nicht neu schnüren.) Rabbi Tarfon aber ging hin und legte seine beiden Hände unter ihre Füße, und sie ging auf ihnen bis zu ihrem Lager.

Groß ist das Ehren von Vater und Mutter, denn der Heilige, gepriesen sei er, hat es seiner eigenen Ehre vorgezogen. Es heißt: Ehre deinen Vater und deine Mutter, und es heißt: Ehre den Herrn von deinem Gut.

Frauen sind von vielen Geboten befreit, vor allem von solchen, die an eine feste Zeit gebunden sind (dazu Kidduschin 1,7), da sie durch die Menstruation, durch das Gebären von Kindern und das Besorgen des Hauswesens, besonders der Kleinkinder, vielfältig daran gehindert sind. Andererseits werden die häuslichen Pflichten der Frauen für so wichtig erachtet daß sie den Vorrang gegenüber der Erfüllung anderer Gebote erhalten.

Die Frau ist von jenen Geboten befreit, die „die Zeit verursacht (bedingt)“. Von einem bestimmten Zeitpunkt unabhängige Gebote und dann auch sämtliche Verbote der Tora gelten für Mann und Frau gleicherweise. Eine Frau soll beten, weil sie dies jederzeit tun kann. Sie ist hingegen von der Teilnahme am Gottesdienst dispensiert, da sie möglicherweise gerade zu diesem Zeitpunkt ihr Kind stillen muß. Ihre spezifischen Verpflichtungen haben Vorrang. Im übrigen ist es der Frau unbenommen, die zeitbedingten Gebote zu erfüllen, wenn sie dazu das Bedürfnis verspürt.

Die jüdische Frau „herrscht“ im Hause (Ps. 45,14).Sie ist für die Erziehung der Kinder in den ersten Jahren, die Zubereitung der Nahrung nach den Speisegesetzen und für die Erfüllung der Erfordernisse bei der Vorbereitung des Schabbat und der Feste verantwortlich, weiter hat sie kultische Reinheitsregeln zu beachten. Es geht also um die Vermeidung einer Pflichtenkollision, nicht aber darum, daß etwa die Frau als minderwertig betrachtet wird.

Die jüdische Frau „herrscht“ im Hause (Ps. 45,14).Sie ist für die Erziehung der Kinder in den ersten Jahren, die Zubereitung der Nahrung nach den Speisegesetzen und für die Erfüllung der Erfordernisse bei der Vorbereitung des Schabbat und der Feste verantwortlich, weiter hat sie kultische Reinheitsregeln zu beachten. Es geht also um die Vermeidung einer Pflichtenkollision, nicht aber darum, daß etwa die Frau als minderwertig betrachtet wird.

Um Frauen zu erfreuen, wurden Änderungen in Ritual und Recht eingeführt. Im Protest gegen die käufliche Tempelaristokratie erklärten die Rabbinen den Tisch des Hauses zum Altar Gottes, anstelle des Tempelleuchters führten sie im Haus die Schabbatlampen ein, die von der Frau entzündet wurden, und die Vorschriften für den Fleischgenuss wurden vom Tempelopferdienst in die Familie verlegt.

Wer seine Tochter mit einem Gelehrten verheiratet, auf dem ruht Gottes Gnade. B.T. Ketuba 111

Ein Jude, der kein Weib hat, ist vom Himmel ausgeschlossen. B.T. Pessachim 113

Der Mann soll die Ehre seiner Frau schützen. B.T. Baba Mezia 59

Wer ist reich? Jeder, der eine gütige Frau hat. B. T. Schabbat 25

Wer seine Tochter einem alten Mann zur Frau gibt über den sagt das Bibelwort. Gott wird ihm nicht vergeben. B. T. Sanhedrin 76

Ein Vater darf seine Tochter nicht verheiraten, solange sie klein ist, sondern erst wenn sie groß ist und sagt. Diesen Mann will ich. B. T. Kidduschin 41

Man soll für Essen und Trinken weniger ausgeben, als man hat für Kleidung so viel wie man hat, und für die Frau mehr als man hat. B. T. Chullin 84

Der Talmud spiegelt, diese Zwischenbilanz sei erlaubt, genau den Aberglauben seiner Zeit in bezug auf die Menstruation, auf Zauberei, auf … kurz, die dem Mann unbegreifliche Andersartigkeit der Frau.

Hier ist auch noch kurz auf das Schir-haSchirim hinzuweisen: durch Rabbi Akiba in den „Kanon“ aufgenommen. Akiba „gewann gegen seine Kollegen“, in dem er erklärte, daß dieses Buch, in dem G’tt nicht erwähnt wird, wohl aber die menschliche Liebe in ihren guten und schlechten Zeiten, ein ganz besonders heiliges Buch sei. In der Gegenwart wurde das Lied als Gabe für jüdische Verlobte übersetzt und gedruckt (Dr. Josef Carlebach aus Hamburg). Zugleich ist es bevorzugte Schabbatlektüre!
Erstaunlich, daß in hier nicht zitierten Teilbereichen durchaus emanzipiertes Frauenbild vermittelt wurde, und daß die heutige Rolle der Frau in der (nicht progressiven) Gemeinde in punkto Selbstbewußtsein hinter dem zurückbleibt, was uns überliefert ist. Erst das progressive Judentum nimmt die Frau wieder als Wesen an, das gleichberechtigt am religiösen Leben teilnimmt.

Allerdings muß hier die Frage erlaubt sein, aus welchen Motiven bzw. mit welcher Begründung das progressive judentum der Frau eine andere Rolle zubilligt. Ärmlich, um nicht zu sagen erbärmlich ist das aus liberalen Kreisen vorgetragene Argument, daß man es sich nicht erlauben könne, die Hälfte der Gemeinde nicht am Gottesdienst zu beteiligen. Im Umkehrschluß bedeutet das, daß die Frauen dann, wenn ihre Zahl sinkt, wieder „auf die Empore zurückgehen“, wenngleich möglicherweise nur im metaphorischen Sinne.
Zur Einschätzung und Wertschätzung der Frau im Judentum vergl. Deutung der Offenbarung am Sinai. Moses erhält von Gott die Anweisung, daß das ganze Volk sich vorbereiten soll, seine Stimme zu hören. Sprich so zum Haus Jakobs, und sage den Söhnen Israels…“ Dazu heißt es in der Exegese: „Haus Jakobs, damit sind die Frauen gemeint, denn die Frau beschirmt den Mann. Gott will zuerst von den Frauen gehört werden. Du, Mose, sprich erst im Namen Gottes sanft mit den Frauen und danach streng zu den Männern, mitsamt allen Konsequenzen, wenn sie Gottes Gebote missachten!“ (Mechilta zur Stelle: Raschi Kommentar)

So spricht auch die Mutter zum König, um ihn zu belehren (Spr. 3 1, 1): „Dies sind die Worte des Königs Lemuel, die seine Mutter ihn lehrte.“
Das Bild der Frau im antiken Judentum zeigt also auf Ebenbürtigkeit, Ehrung, Fortschritt gegenüber einer Umwelt voller Aberglauben und Ängsten. Hier wird die Geliebte und Liebende gerühmt, die Mutter, die anstelle der schwachen Männer handelt, die Schwestern, die ein neues Erbrecht fordern und erhalten.
Auch sonst erscheint das Judentum an einigen Stellen durchaus positiv, was die Einschätzung der Frau angeht.Vielleicht gibt es im Judentum weniger vehemente Konfrontationen zwischen Männern und Frauen, weil eine lange Geschichte der Frauenehrung geprägt hat. Das beginnt mit dem Ja zu Ehe und Sexualität, die nicht als Zugeständnis an den schwachen Leib verstanden werde. Das rabbinische Judentum lehrt die Notwendigkeit der ehelichen Partnerschaft als Weg zum ganzen Menschen. Die Frau ist nicht dem Manne untertan, sie ist Gefährtin. „In allem, was Sara dir sagt, höre auf sie“!!! Die gesamte religiöse Lebensführung in Haus und Familie beruht auf den umfangreichen Kenntnissen der Frauen. Da das Judentum vor allem eine „Religion“ in Haus und Familie ist, bedeutet das mehr als die Wahrung einiger Feiertage
.
Zur Selbstbestimmung der Frau gehört die Vorschrift, ihre Zustimmung zur Ehe zu erfragen. Für den Umgang mit der Ehefrau sind als Teil des rabbinischen Rechts Rücksichtnahme und Zurückhaltung geboten. Auch für die Frau gilt, daß Sexualität Freude bereiten soll und nicht etwa eine verbissene Pflichterfüllung darstellt. „Wenn ein Mann eine Frau neu geheiratet hat so sei er vom Militärdienst befreit … er sei freigestellt für sein Haus, und er bereite Freude seiner Frau, die er genommen hat‘. Dies wird im Talmud erklärt: “ es ist Pflicht des Mannes, seiner Frau sexuelle Freude zu geben.“. Der Mann soll sich nach den Wünschen seiner Frau richten, auch wenn sie diese nicht direkt ausdrückt. Während eines Ehekonflikts darf kein Verkehr erzwungen werden, denn solches ist Prostitution. Ein Betrunkener soll sich nicht seiner Frau aufdrängen. Das gleich gilt im Fall einer beabsichtigten Scheidung, Abraham ben David, ein französischer Jurist des 12. Jhdts. n. Z. erklärte dazu. „Diese Dinge sind auch dann untersagt, wenn der eheliche Verkehr notwendig ist, um das Gebot „Seid fruchtbar und mehret Euch“ zu erfüllen. Nachmanides schrieb in seinem Buch über die Ehe. „Du darfst sie niemals zwingen, denn in einem solchen Akt ist die Gegenwart Gottes nicht anwesend…. Streite nicht mit ihr, und schlage sie nicht um des Beischlafs willen. Unsere Weisen lehrten: Wie der trampelnde, fressende schamlose Löwe ist ein unzarter Mann, er schlägt und erzwingt ohne Scham.“ Diese Belange sind verbindlich kodifiziert und stellen somit über ethische Empfehlungen hinaus juristische Sachverhalte fest.

Bei Scheitern der Ehe ist sie kein Gefängnis. Die Scheidung ist seit eh und je möglich, um eine neue, glücklichere Verbindung einzugehen. Auch hier ist die Frau aktiv beteiligt. Sie muss den Get nehmen, eine „Zustellung durch Niederlegung“ gibt es nicht. Seit der Antike kann die Scheidungsklage übrigen sowohl vom Mann als auch von der Frau bei dem Rabbinatsgericht eingereicht werden. In den Ehevertrag kann, um das Verschwinden des scheidungsunwilligen Ehemanns zum Zweck der „Torpedierung“ der Scheidung zu verhindern, eine Klausel aufgenommen werden, nach der sich beide Partner verpflichten, sich nicht böswillig einer Scheidung zu widersetzen. Dann darf das Rabbinatsgericht für den verlassenen Partner die Scheidung durchführen.
Das jüdische Familienrecht setzt die gegenseitigen Rechte und Pflichten fest, die die Partner auf sich nehmen. Um jede (männliche) Willkür von vornherein auszuschließen, standen der Frau weitgehende finanzielle Rechte bei unverschuldeter Scheidung zu, ebenso aber auch bei Vergehen des Mannes gegen seine Verpflichtungen. Bereits seit der Spätantike existiert die Ketuba, der Ehevertrag. Im Text heißt es unter anderem.“ Der Bräutigam sage zur Braut: Ich will dir dienen, dich ehren und für dich sorgen nach der Pflicht jüdischer Männer. Für die ökonomischen Regelungen bin ich und sind meine Nachkommen mit jedem Besitz verantwortlich, den ich habe oder erwerben werde.“ In diesem Vertrag sind seit 2000 Jahren auch die Ansprüche der Witwe an den Besitz festgelegt. Im Eherecht finden sich ausführliche Bestimmungen dazu.
Diese „kurze Einstimmung“ mag genügen, um nun einen oben begonnenen Faden wieder aufzunehmen. Beginnen wir, uns zu fragen, ob die Rolle der Frau g’ttgegeben und unabänderlich festgeschrieben ist, obwohl die Halacha immer auf sozio-historische und sozio-kulturelle Änderungen reagiert hat:

Beginnen wir, gemeinsam die Tora zu lesen. In Gen. 1, 27 lesen wir: „Da erschuf G’tt den Mensch in seinem Ebenbilde, in dem Ebenbilde G’ttes erschuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie“ (Mendelssohn). Gen. 2 berichtet nun etwas genauer, daß zuerst der Mann, danach die Frau erschaffen wurde.
Es gibt also keine Rollenverteilung, nach der die Frau auf Heim und Herd beschränkt wird, auch keine Verpflichtung zu Ehe und Familie, keine Beschränkung im bereich des Kultus, keine Fixierung auf eine bestimmte Lebensform – nur die Aussage, daß männliche und weibliche Menschen erschaffen wurden. Den (uns) Männern sollte zu denken geben, daß die Frauen nach den Männern erschaffen wurden. Wenn es richtig ist, daß G’tt in aufsteigender Folge erschuf, welche Schlußfolgerung ziehen wir dann daraus, daß die Frau nach dem Mann erschaffen wurde?
Greifen wir noch eine andere Stelle aus der Tora heraus. Es wird berichtet von dem Tod eines Mannes. In Anbetracht des Umstandes, daß 600.000 Menschen während der Wüstenwanderung gestorben sind, also statistisch eine Menge von Toten pro Tag zu verzeichnen war, kann der Bericht über den Tod eines einzelnen Menschen nur bedeuten, daß wir zum nachhaltigen Lernen aus dieser Parascha angehalten sind. Was wir lernen, ist (für uns heute) ganz selbstverständlich: Männer und Frauen sind erbberechtigt, hier also: Gleichberechtigung vor dem Gesetz! Die tribale „Einschränkung“ ist dem Zeitgeist geschuldet.
Noch eine andere Stelle ist wichtig, genauer betrachtet zu werden. Über Mirjam, Moses‘ Schwester lesen wir, daß sie eine Prophetin war. Eine gleiche Aussage findet sich wegen einer weiteren Prophetin. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was fehlt, nämlich die Erwähnung der Familie. Ehelosigkeit war also kein Problem, was zugleich verdeutlicht, daß klar gesehen wurde, daß das Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, durchaus nicht das Lebensmodell für alle Menschen war und auch nicht so verstanden wurde!
Über Michal, um den kurzen Ausflug durch den Tanach zu beenden, wird berichtet, daß sie Tefillin gelegt habe, und aus einer anderen Stelle ist zu entnehmen, daß auch Frauen an den Pilgerfesten teilgenommen haben. Wie sollten sie dann von anderen Pflichten entbunden gewesen sein?
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Tora noch keine auf „Küche, Kirche, Kinder“ beschränkte Rolle der Frau kennt. Das bleibt der talmudischen Zeit vorbehalten. Unter dem Deckmantel der Rücksichtnahme und Frauenehrung wird die Frau bzw. ihre Rolle in nicht-tora-gemäßem-Maß eingeengt.
Dieser Widerspruch wurde auch durchaus zu späteren Zeiten gesehen und erkannt. Hier sei nur kurz auf den Aufsatz von Miriam Lübke verwiesen, der sich mit einem bestimmten Responsum befaßt. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß auch im Mittelalter durchaus unumstritten war, daß Frauen zur Tora aufgerufen werden können. Weiter ist auf die denkwürdige Begründung im kizzur schulchan aruch zur Frage des Kaddisch-Betens durch eine Frau zu verweisen. Für die, die den Kizzur als unzeitgemäß aus ihrem Bücherschrank verbannt und ihn nie gelesen haben, hier die zusammengefaßte Erklärung: selbstverständlich spricht nichts dagegen, daß Frauen den Kaddisch beten, abgesehen von „der Ehre der Gemeinde“.
Zum Schluß erlaube ich mir, auf eine „persönliche Schwäche“ zurückzukommen. Bereits oben war die Rede von der dreimalig negativen Definition der Rolle des Mannes, nicht als Nichtisraelit, nicht als Sklave und nicht als Frau geboren zu sein. Ich kann durchaus verstehen, daß die letzte Feststellung die Frauen kränkt und beleidigt, ich bitte nur, diese Passage nicht als Herabwürdigung der Frauen zu sehen, sondern sie in ihrem Kontext zu verstehen: alle genannten Gruppen waren der Tora nicht voll unterworfen, so daß im Endeffekt der Mann dafür dankt, das „Joch der Tora“ voll auf sich nehmen zu müssen. Im übrigen hielt (und halte) ich es aus kompositorischen Gründen für merkwürdig, die Trias der negativen Begründungen durch ein „Duo“ zu ersetzen. Daher würde ich es begrüßen, diesen bekannt nicht frauenfeindlich gedachten (aber so verstandenen) Teil des Morgengebetes aus später noch in nicht-progressiven Siddurim als Option zu finden.
Laßt uns also gemeinsam daran gehen, auf die soziokulturellen Veränderungen fundamentiert zu reagieren und deutlich zu machen, daß die Tora 70 Gesichter hat, und nicht nur eines, und noch dazu ein frauenfeindliches.

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