Archiv für 2010/12/07

Frau – Mann – Mensch

Veröffentlicht: 2010/12/07 in Nicht kategorisiert

Frau – Mann – Mensch.

Grundlagen jüdischer Religiosität und Spiritualität

Rachel Herweg

Die traditionellen Ehrentitel der Eltern sind: Awi mori, Immi morati – mein Vater, mein Lehrer; meine Mutter, meine Lehrerin. Beide gelten im Kontext jüdischen Glaubens als Beauftragte Gottes und befolgen die Bitte des Morgengebets:

„Mache lieblich, Ewiger unser Gott, die Worte deiner Tora in unserem Munde und im Munde deines Volkes, des Hauses Israel, auf dass wir und unsere Sprösslinge und die Sprösslinge deines Volkes, des Hauses Israel, wir alle deinen Namen erkennen und deine Tora lernen um ihrer selbst willen. Gesegnet seist du, Ewiger, der du die Tora lehrst dein Volk Israel.“

Jüdische Tradition ist gelebte Gotteserfahrung. Die Liebe zu Gott erweist sich für Jüdinnen und Juden in der Liebe zur Tora (Fünf Bücher Mose), die traditionell als authentische Offenbarung Gottes gilt. Neben dieser schriftlich fixierten, in sich abgeschlossenen Tora (Lehre/ Weisung) existiert von Sinai an die sog. mündliche Tora – die fortlaufende Offenbarung.

Jüdisches Leben, alles jüdische Handeln soll auf der Tora und ihrer Auslegung beruhen, wie es heißt (Dtn 17,11): „Nach dem Geheiß der Weisung, die sie [die Rabbinen] dir weisen, und nach der Rechtsfindung, die sie dir zusprechen, sollst du tun.“ – In dieser Aufforderung liegt die Legitimation der mündlichen Tora, der Ausdeutung der göttlichen Offenbarung durch die Menschen, begründet. Gott soll in jeder Generation (neu) aus seiner ganzen Tora (der schriftlichen und mündlichen) interpretiert werden (vgl. Babylonischer Talmud [bT] Mak 24a).

Kein Mensch allein kann vollständige Gotteserkenntnis erlangen. Um Gott näher zu kommen, bedarf es des Zusammenwirkens vieler Menschen – ihres Erkenntnisaustauschs und der darauf basierenden Formulierung von Recht – Halacha (wörtl. „der zu gehenden Wegrichtung“); also auch des Zusammenwirkens von Frauen und Männern.

Rabbinisches Judentum hat über Jahrhunderte dieses Zusammenwirken in der Praxis – ich möchte sagen – „sehr speziell“ ausgeprägt. Dazu weiter unten; zunächst noch zu seinen zentralen Grundaussagen, die das Bild des und vom Menschen und der gleichen Würde von Frau und Mann, seiner und ihrer Stellung und Bestimmung und den gemeinsamen Ausgangspunkt ihrer Religiosität und Spiritualität mindestens theoretisch begründen:

  1. Grundlegend ist die Heiligkeit menschlichen Lebens:Gen 1,27: „Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde…“
    Gen 2,7: „… und er hauchte den Odem des Lebens in seine Nase – und so ward der Mensch zu einem lebenden Wesen. 

    Durch diesen Akt sei die Seele des Menschen als göttliches Prinzip zu betrachten. In jedem menschlichen Leben wirkt etwas Göttliches, und so besteht die Aufgabe des Menschen darin, nach Heiligkeit zu streben:

    Lev 19,2: „Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin ich, der Ewige, Gott.“

    Aus der Heiligkeit des menschlichen Lebens wird geschlossen:

  2. Menschliches Leben hat unendlichen Wert:Jeder einzelne Mensch gilt als Ebenbild Gottes, als einzigartig und unverwechselbar. Individuelles Dasein und Leben werden in der Mischna (M Sanh 4,5) als so kostbar erachtet, „dass wenn einer eine Person vernichtet, es ihm die Schrift anrechnet, als hätte er eine ganze Welt vernichtet, und wenn einer eine Person erhält, es ihm die Schrift anrechnet, als hätte er eine ganze Welt erhalten“.Aus dem unendlichen Wert menschlichen Lebens resultiert die Verpflichtung:
  3. Menschliches Leben muss gerettet werden:Lev 18,5: „… und durch sie [die Mizwot – Gesetze] sollst du leben!“Die Ge- und Verbote der Tora dienen dem Erhalt menschlichen Lebens. Um dieses zu retten, erlaubt die Halacha, praktisch alle Mizwot der Tora außer Kraft zu setzen (Ausnahmen: Götzendienst, Unzucht, Mord. Bei Mord besteht die Ausnahme: Notwehr [gegenüber einem potentiellen Mörder (hebr. rodef)]).

Die Heiligkeit des Menschen (seine Ebenbildlichkeit) begründet seine Würde und Bestimmung als Partner und Partnerin Gottes:

Gen 1,28: „… und bezwinget die Erde.“

Dieses Gebot beinhaltet insbesondere die Verpflichtung (!) zum Erwerb und zur Erweiterung von Wissen (= Studium; Forschung und Lehre).

Nach Vorstellung des rabbinischen Judentums führt der Weg zu Gott nur über seine Offenbarung, die Tora. In ihr ist alles Wissen der Welt (bereits) enthalten (vgl. M Awot 5,26) – und sie befindet sich „nicht im Himmel“, sondern wurde den Menschen als einzige Quelle ihrer Auslegung und ihres Weltverstehens (= fortlaufende Offenbarung, s.o.) gegeben (vgl. bT BM 59b; Tem 16a).

Als religiöses Ziel des Judentums und Sinn aller Geschichte wird die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden begriffen – die Erlangung des Weltfriedens, der auf der wahren Gotteserkenntnis aller Menschen beruht. Die Halacha markiert hierbei nicht das Ziel, sondern einen Weg. Sie verlangt Handeln, die „Selbstheiligung“ durch Gebotserfüllung, und nicht Glauben.

Zur historisch begründeten Rolle und Stellung der jüdischen Frau

Nun komme ich auf das „sehr speziell ausgeprägte“ rabbinische Verständnis des Zusammenwirkens von Frauen und Männern zurück:

Auf den Nenner gebracht ist die Bedeutung der Frau für den Mann im traditionellen oder orthodoxen Judentum: „wie Gott“ auf Erden zu sein und das geistige Potential des Menschen im Leben zu erkennen. Letztendlich geht es für Frauen darum, den Männern durch stilles Dienen, Zuarbeiten, Fördern – durch praktisches Ausführen und Bewähren der von ihnen festgelegten Halachot den Weg zur Erlösung zu bereiten. Freilich partizipieren sie dereinst am Erlösungsgeschehen: Durch die Taten ihrer Männer sind sie mit eingebunden. Symptomatisch erscheinen die endlos reproduzierten frauenpreisenden Äußerungen von jüdischen Männern, Gelehrten – Rabbinern. Sie loben Klugheit, Stärke und Verstand der Frau. Ihre Einsicht sei größer als die des Mannes (bT Nid 45b), sie erleuchte seine Augen und stelle ihn auf seine Füße (bT Jeb 63a), ihr göttliches Feuer „ist stärker als das des Mannes“ (bT Sota 17a) und so weiter und so fort. Das durch die Zeiten bestimmende Ideal der jüdischen Frau spiegelt sich im Frauenlob (Eschet chajil – „Frau von Stärke, Reichtum, Standfestigkeit“) am Schluss des Buches der Sprüche, das bis heute in vielen Familien den Frauen am Schabbatabend zugesungen wird. Nach seiner Heldin wurde die jüdische Ehefrau als „Krone ihres Mannes“ (Spr 12,4) betitelt und in mystischen Kreisen mit der Schechina, der göttlichen Einwohnung (dem weiblichen Aspekt Gottes) verglichen (16. Jh., Safed).

Das Bemerkenswerte an diesen und vielen anderen positiven Äußerungen der Rabbinen ist die Tatsache, dass es sich hier nicht in erster Linie um den „Menschen Frau“ handelt, sondern um den „Menschen Mann“ (vgl. bT Jeb 63a): Wenn der Mann keine Frau hat, ist er kein Mensch; wenn der Mann keine Frau hat, hat er keine Erde – sozusagen keinen Boden unter den Füßen (vgl. Klischee: die Frau als realistische Lebensmeisterin, der Mann als vergeistigter „Träumer“). Das Schicksal des Mannes hängt also von der Frau ab – das Gute und das Böse kommen von der Frau.

Bis heute prägt ein männergemachtes Frauenideal die Realität der Geschlechter. Alle frauenpreisenden Äußerungen lassen sich auf Genesis 21,12 „In allem, was Sara zu dir sagt, höre auf ihre Stimme!“ zurückführen. Dieser biblische Rat erging an den Patriarchen Abraham, der ungefähr vor 4000 Jahren gelebt haben mag. Angesprochen wurde der Mann als handelndes Subjekt und Entscheidungsträger, was der damaligen Gesellschaftsform entsprach. Solange Frauen nicht sagten und sagen: „Lass mich selbst lesen… lass mich alles tun, was auch du/ Mann tust“ und nicht gegen seine Entscheidungen aufbegehren, ist dieser Ratschlag „gut“, nämlich systemstabilisierend, indem er die wahren Machtverhältnisse verschleiert: Im praktischen Leben waren und sind Frauen den Männern an wirtschaftlicher Macht und sozialem Prestige, in juristischen Belangen und religiöser Partizipation nachrangig.

Rabbinisches (orthodoxes) Judentum hat zwar die „Gleichwertigkeit in Andersartigkeit“ von Frauen und Männern vertreten, aber nie deren Gleichberechtigung. Seit seiner Geburtsstunde im Jahre 70 hat es zwei nach Geschlecht getrennte arbeits- und aufgabenteilige Lebenswelten entwickelt: das Lehrhaus als Wirkungsort der Männer und das jüdische Haus mit der Familie in ihm als Domäne der Frauen. Beide sollten einander ergänzen und durch ihr Zusammenwirken das Traditionsgut in die Zukunft hinein sichern: das Lehrhaus von außen durch die Bewahrung und Fortschreibung des theoretischen Wissens, das jüdische Haus von innen durch die Bewährung dieses Wissens im alltäglichen praktischen Tun.

Gemeinhin wird die zunehmende Polarisation von Männer- und Frauenwelt als jüdische Überlebensstrategie in der Diaspora gedeutet. Tatsächlich sicherte sie die Vormachtstellung der Männer, indem deren selbsterklärter Arbeitsbereich – das Studium von Tora, Talmud und rabbinischen Schriften sowie das schriftliche Tradieren von Halacha (jüdisches Recht) – Vorrang vor allen anderen Arbeiten hat. Die Rolle jüdischer Frauen in orthodoxen Gemeinden ist es bis heute, Männer in ihrem Studium und ihrer Geistigkeit zu fördern. Jahrhunderte hindurch haben somit weibliche Strategien – Selbstlosigkeit, Kooperation, Gegenseitigkeit – der männlichen Dominanz innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zugearbeitet. Die amerikanische Feministin Aviva Cantor hat diese Zuarbeit jüdischer Frauen als spezifisch jüdische Variante des Patriarchats („Reformpatriarchat“) bezeichnet.

Indem jüdische Männer jahrhundertelang den Frauen Lob gesungen, ihnen dadurch Ehre gegeben und immer wieder beteuert haben, dass die Geschicke Israels von ihnen abhingen und sie die wahren Drahtzieherinnen seien, haben sie sie bei der Stange gehalten und damit implizit für ihre Belange funktionalisiert.

Männliche Gelehrte „befreiten“ Frauen von der religiösen Pflicht, zeitgebundene positive Gebote zu befolgen. Später diente ihnen diese Befreiung als Legitimation, Frauen von der aktiven Teilnahme am Gottesdienst auszuschließen und sie der Verpflichtung zum Torastudium zu entheben. Indem Frauen der unmittelbare Umgang mit der Tora in Lehrhaus und Synagoge versagt wurde, wurde zugleich ihre direkte Verbindung zum Göttlichen – das sich dem jüdischen Menschen durch die Tora vermittelt – im institutionell-religiösen Bereich unterbrochen. Zwischen Gott und Frau trat der Mann; an die Stelle der unmittelbaren weiblichen Gotteserfahrung trat die Vermittlung der männlichen Erfahrung Gottes, die fortan die jüdische Tradition – und mit ihr die Autobiographie jüdischen Lebens, das Gebetbuch, bestimmte.

Reformbewegung und jüdischer Feminismus

Erst im Zuge der Haskala (jüdische Aufklärung) veränderte sich das traditionelle Spiel der Geschlechter: Ende des 18. Jahrhunderts entstand in Deutschland die jüdische Reformbewegung. Aus ihr heraus wurden Vorschläge zur Emanzipation der jüdischen Frau formuliert und in der Breslauer Rabbinerkonferenz von 1846 beschlossen. Sie beinhalteten u.a., dass Frauen alle religiösen Gebote zu beachten haben, auch Mädchen zum Lernen von Tora und Talmud verpflichtet sind und dass eine Frau nicht vom Vater oder Ehemann von ihren Gelübden losgesprochen werden darf. Frauen traten zunehmend als aktiv und selbstverantwortlich Handelnde auf den Plan. Der Umbruch, nämlich die weibliche Rückkehr zum unmittelbaren Umgang mit der Tora, war offensichtlich, als Regina Jonas 1935 als weltweit erste Frau in Deutschland die Ordination zur Rabbinerin erhielt. Sie wurde in Auschwitz ermordet – und danach für ein halbes Jahrhundert vergessen. Ihre Wiederentdeckung fiel in die Vorwehen des Amtsantritts der ersten Rabbinerin in Deutschland nach der Schoa, Bea Wyler (1995). Bis dahin war es ein weiter Weg – wenigstens in Deutschland.

Während das Reformjudentum in Deutschland durch den Nationalsozialismus vollständig ausgelöscht wurde, gelangte es in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts zu immer größerer Blüte. Jüdische Frauen in den USA haben sich aktiv mit ihrem Erbe auseinandergesetzt, etablierten eine jüdisch-feministische Geschichtsschreibung und entwickelten neue Liturgien. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen sie massiv und öffentlich für ihre gleichen Rechte innerhalb der Jüdischen Gemeinschaft zu kämpfen. Sie forderten die Veränderung oder Neuschreibung von Halacha, indem sie halachische Entscheidungen historisch rekonstruierten, als falsch oder einseitig entlarvten und neue Interpretationen hinzufügten. Damit vollzogen sie nachhaltig den Eintritt in die schriftliche Tradierung jüdischen Wissens und damit in den direkten halachischen Entscheidungsprozess.

Auf diese erste bedeutende Phase des jüdischen Feminismus folgte seit Mitte der 1970er Jahre eine stark in die Praxis wirkende Auseinandersetzung mit dem traditionellen Verständnis der Geschlechterrollen. Jüdische Frauen untersuchten die Funktion männlicher Ausdrucksformen und Sprache, erforschten weibliche (Gottes)Bilder in verschiedenen Richtungen des Judentums und rangen mit der Schaffung neuer Gebete und Rituale. Sie setzten sich auseinander mit dem Mythos der jüdischen Familie und der Mutter in ihr und kreierten neue Vorbilder, wie das der Gelehrten und Rabbinerin.

Der grösste Teil der jüdisch-feministischen Diskussion über die Rede von Gott und die Gottesbilder sowie das Experimentieren damit, kreiste um die Frage des Geschlechts/Gender Gottes. Jüdische Feministinnen kritisierten das Vorherrschen männlicher Pronomen und Bilder in der Hebräischen Bibel, rabbinischen Texten und im traditionellen Gebetbuch und suchten nach Alternativen.

Erstmals formulierte Rita Gross in ihrem Artikel „Female God Language in a Jewish Context“ (1979) eine breitere theoretische Kritik an der männlichen Sprache und entlarvte das Fehlen weiblicher Bilder und Symbole für Gott als den grundlegendsten Ausdruck für die Abwertung der jüdischen Frauen. Gottesbilder seien „nur“ Bilder und keine Wesensbeschreibungen, argumentierte sie, und wenn Jüdinnen und Juden nicht wirklich davon ausgingen, dass Gott männlich sei, wenn sie männliche Pronomen und Bilder verwendeten, dann sollten sie auch keinerlei Einwände gegen die Verwendung weiblicher Bilder haben (170f). Alles, was Jüdinnen und Juden je über das vertraute „Der Heilige, gelobt sei ER“ gesagt haben, könne und müsse demnach auch über „Gott-SIE“ gesagt werden (173).

Die Analyse von Rita Gross legte den Grundstein für spätere jüdisch-feministische Arbeiten zu diesem Thema. Während der 1980er und bis in die 1990er Jahre hinein entwickelten und diskutierten jüdische Feministinnen wie Judith Plaskow, Marcia Falk, Lynn Gottlieb, Ellen Umansky und Rachel Adler Fragen, die Rita Gross aufgeworfen hatte. Sie untersuchten die Rolle der männlichen Sprache in einem grösseren patriarchalen System, arbeiteten an der Frage, wie männliche Bilder Frauen herabsetzen, sie erforschten die weiblichen Bilder in verschiedenen Richtungen des Judentums und machten zahlreiche Vorschläge für einen neuen Sprachgebrauch.

Dabei griffen sie auf körperlich-seelische und soziale Erfahrungen von Frauen zurück. In Neufassungen traditioneller Gebete wurde Gott zur Mutter, Herrscherin, Schöpferin und Ernährerin, die Leben zur Welt bringt und mit ihrem Schoß die Erde beschützt. – So in dem Gebetbuch „Siddur Nashim: A Sabbath Prayer Book for Women“ (Ein Sabbat-Gebetbuch für Frauen; Privatdruck), dass Maggie Wenig und Naomi Janowitz ungefähr zur selben Zeit als der Artikel von Rita Gross erschien, geschaffen haben.

Da sämtliche jüdischen Rituale Segnungen enthalten, die traditionell mit einer männlichen Formel eingeleitet werden – Gepriesen seist Du [männlich], Herr, unser Gott, König der Welt– stehen Frauen vor der Entscheidung, wie und in welchem Umfang sie diese traditionelle Sprache verändern wollen. Einige neuere Liturgien ersetzen im Hebräischen einfach den männlichen „Gott-ER“ durch das weibliche „Gott-SIE“. Andere verwenden weibliche Gottesvorstellungen und -namen aus der jüdisch-mystischen Tradition, wie Schechina – die göttliche Einwohnung in der Welt, die die reale Schöpfung aus sich hervorbringt und Bina – die Einsicht und geistige Urquelle des Lebens oder wählen und kreieren neue weibliche hebräische Ausdrücke, wie Rachmana – Mutter des Schoßes oder ruach ha-olam – Geistkraft der Welt.

Dem neuen feministischen Gebetbuch von Marcia Falk („The Book of Blessings: New Jewish Prayers for Daily Life, the Sabbath, and the New Moon Festival“, 1996), das Gebete in englischer und hebräischer Sprache enthält, liegt die Vorstellung von einer Göttlichkeit zugrunde, die in jedem kleinsten Winkel der Erfahrung gegenwärtig ist. Falk vermeidet (anders als viele andere Feministinnen) eine geschlechtliche Bildsprache, indem sie das Göttliche „überall dort findet, wo unser Herz und unser Geist, unser Blut und unsere Seele berührt werden“. Manchmal benennt Falk das Göttliche direkt – z.B. als Springbrunnen, Strom oder Quelle des Lebens, manchmal erinnert sie schlicht an die Gegenwart des Heiligen in der Schöpfung. So lautet die Übersetzung ihres Schema (Höre Israel), der zentralen Glaubensaussage des Judentums: „Höre Israel – das Göttliche ist überall in Fülle und wohnt in allen Dingen; das Viele ist Eins!“ (1996, S. 24).

In Deutschland war es vor allem Pnina Nave Levinson, die jüdische Frauen ermutigt hat, nach ihren eigenen Traditionen zu suchen, herrschende Rituale und Liturgien zu hinterfragen, Altes wieder – und Neues zu entdecken.

In Frankfurt am Main gründete sich im Frühjahr 1994 die egalitäre Gemeinschaft Kehilah Chadaschah. Sie markiert den Beginn einer jüdischen feministisch-liturgischen Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1995 ist in Oldenburg und Braunschweig eine Rabbinerin tätig; bis heute sind in Deutschland zwei weitere dazu gekommen. Seit Ende der 90er Jahre amtieren in der Jüdischen Gemeinde Berlin zwei Kantorinnen, unlängst ist eine dritte hinzu gekommen. 1998 wurde in Berlin die Initiative „Bet Debora“ ([Lehr]Haus Deboras) ins Leben gerufen. Bet Debora setzt sich v.a. ein für die Förderung eines jüdisch-feministischen Bewusstseins und jüdischer Frauenbildung und -forschung auf europäischer Ebene, für die Integration von Erfahrungen jüdischer Frauen aus West- und Osteuropa in die jüdische Tradition sowie des jüdisch-feministischen Diskurses in die Gesamtgesellschaft. 1999, 2001 und 2003 hat Bet Debora europäische Rabbinerinnen, Kantorinnen, jüdische Aktivistinnen und Gelehrte nach Berlin eingeladen, um über aktuelle Themen zu beraten.

In der Gegenwart benennen feministische Jüdinnen Regeln der gleichberechtigten Partizipation in allen Lebens- und Wirkungsbereichen von Frauen und Männern. Sie stellen die Frage nach Autorität und Demokratie und schaffen alternative Institutionen. Sie haben damit die vorausgegangene Rechtfertigungsposition der gleichen Teilhabe jüdischer Frauen an männlichen Privilegien überwunden.

Die Tragik dieser kurz skizzierten Entwicklung besteht nun darin, dass alle jüdischen Frauen außerhalb traditionell praktizierender Gemeinden Gefahr laufen, als Zerstörerinnen des Judentums betrachtet zu werden. Ihre gleichberechtigte und/ oder gleichartige Beteiligung am religiösen Gemeindeleben und an Gottesdiensten in der Synagoge mache die Männer impotent! Dieser Vorwurf der Ent-Mannung wurde seit den 1970er Jahren in den USA laut und lauter. Er wurzelt im negativen Stereotyp der „Jiddischen Mamme“, das ebenso ein Reflex auf veränderte Geschlechterverhältnisse ist – nämlich eine Form der männlichen Abwehr gegen selbstbestimmt handelnde Frauen – und das auch in Deutschland mittlerweile populär ist (z.B. durch die Romane Rafael Seligmanns).

Erkenntnis und Schlussfolgerung

Derzeit bringen jüdische Frauen ihre religiösen und spirituellen Bedürfnisse vehement an die Oberfläche. Mut allein reicht jedoch nicht, um weibliche Gotteserfahrung in der jüdischen Tradition sichtbar zu machen. Zentral erscheint mir neben florierender Publikationstätigkeit jüdischer Autorinnen der generationenübergreifende Diskurs unter Frauen zu sein, unser gemeinsames Lernen und Praktizieren, wie es für mich auch in einem neuen Bat Mitzwa-Ritual zum Ausdruck kommt: Frauen – Verwandte, Bekannte, Freundinnen – versammeln sich um das Bat-Mitzwa-Mädchen, das einen eigenen, noch nicht ganz fertiggestellten Tallit (Gebetsschal) trägt: Die Knoten, die für die Gebote des Judentums stehen, müssen noch in die Schaufäden an seinen Enden eingebunden werden. Jede anwesende Frau erzählt dem Mädchen eine persönliche Geschichte, eine wichtige Erfahrung aus ihrem Leben, „etwas“ aus ihrer Tradition – eine weibliche Gotteserfahrung. Dabei kann es sich auch um einen Bibel- oder Gebetstext, einen Midrasch (Auslegung) oder ein Lied handeln. Wichtig ist der persönliche Bezug, das, was nicht mehr in Vergessenheit geraten soll. Jede Frau spricht die Bat-Mitzwa direkt an, setzt sich neben sie, während die anderen in einem äußeren Kreis bleiben, und fügt während ihres Erzählens einen weiteren Knoten in die Schaufäden ein. Jeder einzelne Knoten steht so symbolisch für eine weibliche Überlieferung. Auf diesem neuen Weg ermächtigen Frauen die Bat-Mitzwa, ihre eigenen Gotteserfahrungen aktiv im Rahmen der jüdischen Tradition weiterzugestalten.

Die Weitergestaltung jüdischer Tradition durch Frauen geschieht in ein gewisses Vakuum hinein, denn beide, Männer wie Frauen haben in unserer modernen Welt durch Assimilation, durch technologischen und medizinischen Fortschritt ihre traditionellen Rollen verloren. Haben wir Mut, die Leere zu empfinden und verlassen wir uns auf unsere Intuition, sie auszufüllen!


Rachel Monika Herweg, Dr., Judaistin, Pädagogin, systemische Familientherapeutin und Supervisorin, Berlin, Mitbegründerin der jüdisch-feministischen Fraueninitiative Bet Debora, Vorstandsmitglied der Interreligiösen Konferenz Europäischer Theologinnen (IKETH), Forschungen u. a. zur Rolle der Frau im Judentum und zum jüdisch-christlichen Dialog.

QUELLE: COMPASS-Infodienst, Online-Extra Nr. 20, November 2005

2006-08-01

Frauen im Judentum

Veröffentlicht: 2010/12/07 in Nicht kategorisiert

Frauen im Judentum

Ein Blick auf die Frauen in der Tora, im Talmud, in der Geschichte und im Kultus belegt, daß sich das Bild Frau in den ersten drei Bereichen fundamental von dem der Frau im Kultus unterscheidet…
von Wolfgang Sunderbrink
Wer kennt dieses Bild nicht: die einzelnen Familien/Ehepaare gehen in die Synagoge, nach Durchschreiten der Türe trennen sich „Männlein und Weiblein“, um den Gottesdienst, getrennt durch einen Vorhang oder „unten und oben“ „gemeinsam“ zu erleben. Frauen zählen nicht zum Quorum, werden nicht zur Thora aufgerufen, und können von Glück sagen, wenn sie zur Bat/Bar-mizwa ihres Kindes den „Männerteil“ betreten dürfen. 

Hier noch ein persönliches Erlebnis, das schlaglichtartig die Probleme der Frauen beleuchtet. Ich vergesse nie den Satz, den mir meine Frau nach dem ersten Besuch in einer liberalen Gemeinde sagte: „Ich gehe nie mehr auf die Empore!“

Ein Blick auf die Frauen in der Tora, im Talmud, in der Geschichte und im Kultus belegt, daß sich das Bild Frau in den ersten drei Bereichen fundamental von dem der Frau im Kultus unterscheidet:

Bekannt ist, daß

  • sich Jüdischkeit über die Mutter definiert,
  • Frauen im Judentum bereits Namen hatten, als es die Römer noch nicht gab, die ihre Frauen nur als Teil einer bestimmten Familie definierten. Julia bedeutet heißt nichts anderes als den Hinweis, dass es sich um eine Frau aus dem Geschlecht der Julier handelt.
  • jüdische Frauen Erbrecht bereits zu einem Zeitpunkt hatten, als in anderen Kulturen daran noch lange nicht zu denken war. Bis in das 19. Jahrhundert n. Z. galt z. B. in Deutschland ein besonderes bäuerliches Erbrecht, das die Frauen vom Hoferbe ausschloss,
  • Frauen für die Beachtung der Kaschrut verantwortlich waren, also mindestens Lesen und Schreiben können mussten, während bei anderen Völkern diese Kenntnisse Herrscherwissen waren, das allein bestimmten Schichten vorbehalten war (so war z. B. Karl der Große Analphabet, der nur mühsam seinen Namen schreiben konnte, Bildung blieb bis in die Neuzeit den ,.gebildeten Ständen“ vorbehalten, das Monopol der Kirchen auf Bildung zerbrach erst mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht),
  • Frauen durch Ehevertrag geschützt waren, als in anderen Kulturen Frauen Handelsware waren.
  • keine jüdische Frau ohne ihre bewusste Mitwirkung geschieden werden konnte.

Beim Durchblättern der Bibel fallen sofort Frauennamen auf, die Büchern den Namen geben (Ruth, Esther). Die Bibel lesend, stolpert man geradezu über Frauennamen: Eva, Sara, Riwka, Rachel und Leah, Mirjam, Debora, Tamar, Rahab, Michal… Frauen als Mutter, Schwester, Geliebte, Richterin, Prophetin, Königin; dann :Akibas Frau, die ihren Mann ernährte und ihn werden ließ, was er werden mußte, ganz zu schweigen von den Händlerfrauen der neueren Zeit , den Politikerinnen (Rosa Luxemburg), den Schauspielerinnen und Dichterinnen.

Morgengebet! Das erste menschliche Lebewesen, das dort positiv definiert wird, ist die Frau. Über die Männer heißt es dreifach „schelo, also: daß ich nicht …“ Die Frauen beten „Der mich nach seinem Willen erschaffen.“ Auf diese Stelle wir später noch zurückzukommen sein.

Aus dem Talmud:
Rabbi Abbahu im Namen von Rabbi Jochanan: Sie fragten Rabbi Eli’eser: Wie weit geht das Ehren von Vater und Mutter? Er antwortete ihnen: Mich fragt ihr das? Geht und fragt den Dama ben Netina! Dama ben Netina war Vorsitzender der Ratsversammlung. Einmal schlug ihn seine Mutter vor dem versammelten Rat. Dabei fiel ihr ihre dazu benutzte Sandale aus der Hand; er aber hob sie für sie auf, damit sie sich nicht darum bemühen musste.

Die Mutter von Rabbi Tarfon stieg am Schabbat hinab ihren Hof, um dort umherzugehen. (Ihre Sandalen lösten sich, und sie durfte wegen des Schabbats nicht neu schnüren.) Rabbi Tarfon aber ging hin und legte seine beiden Hände unter ihre Füße, und sie ging auf ihnen bis zu ihrem Lager.

Groß ist das Ehren von Vater und Mutter, denn der Heilige, gepriesen sei er, hat es seiner eigenen Ehre vorgezogen. Es heißt: Ehre deinen Vater und deine Mutter, und es heißt: Ehre den Herrn von deinem Gut.

Frauen sind von vielen Geboten befreit, vor allem von solchen, die an eine feste Zeit gebunden sind (dazu Kidduschin 1,7), da sie durch die Menstruation, durch das Gebären von Kindern und das Besorgen des Hauswesens, besonders der Kleinkinder, vielfältig daran gehindert sind. Andererseits werden die häuslichen Pflichten der Frauen für so wichtig erachtet daß sie den Vorrang gegenüber der Erfüllung anderer Gebote erhalten.

Die Frau ist von jenen Geboten befreit, die „die Zeit verursacht (bedingt)“. Von einem bestimmten Zeitpunkt unabhängige Gebote und dann auch sämtliche Verbote der Tora gelten für Mann und Frau gleicherweise. Eine Frau soll beten, weil sie dies jederzeit tun kann. Sie ist hingegen von der Teilnahme am Gottesdienst dispensiert, da sie möglicherweise gerade zu diesem Zeitpunkt ihr Kind stillen muß. Ihre spezifischen Verpflichtungen haben Vorrang. Im übrigen ist es der Frau unbenommen, die zeitbedingten Gebote zu erfüllen, wenn sie dazu das Bedürfnis verspürt.

Die jüdische Frau „herrscht“ im Hause (Ps. 45,14).Sie ist für die Erziehung der Kinder in den ersten Jahren, die Zubereitung der Nahrung nach den Speisegesetzen und für die Erfüllung der Erfordernisse bei der Vorbereitung des Schabbat und der Feste verantwortlich, weiter hat sie kultische Reinheitsregeln zu beachten. Es geht also um die Vermeidung einer Pflichtenkollision, nicht aber darum, daß etwa die Frau als minderwertig betrachtet wird.

Die jüdische Frau „herrscht“ im Hause (Ps. 45,14).Sie ist für die Erziehung der Kinder in den ersten Jahren, die Zubereitung der Nahrung nach den Speisegesetzen und für die Erfüllung der Erfordernisse bei der Vorbereitung des Schabbat und der Feste verantwortlich, weiter hat sie kultische Reinheitsregeln zu beachten. Es geht also um die Vermeidung einer Pflichtenkollision, nicht aber darum, daß etwa die Frau als minderwertig betrachtet wird.

Um Frauen zu erfreuen, wurden Änderungen in Ritual und Recht eingeführt. Im Protest gegen die käufliche Tempelaristokratie erklärten die Rabbinen den Tisch des Hauses zum Altar Gottes, anstelle des Tempelleuchters führten sie im Haus die Schabbatlampen ein, die von der Frau entzündet wurden, und die Vorschriften für den Fleischgenuss wurden vom Tempelopferdienst in die Familie verlegt.

Wer seine Tochter mit einem Gelehrten verheiratet, auf dem ruht Gottes Gnade. B.T. Ketuba 111

Ein Jude, der kein Weib hat, ist vom Himmel ausgeschlossen. B.T. Pessachim 113

Der Mann soll die Ehre seiner Frau schützen. B.T. Baba Mezia 59

Wer ist reich? Jeder, der eine gütige Frau hat. B. T. Schabbat 25

Wer seine Tochter einem alten Mann zur Frau gibt über den sagt das Bibelwort. Gott wird ihm nicht vergeben. B. T. Sanhedrin 76

Ein Vater darf seine Tochter nicht verheiraten, solange sie klein ist, sondern erst wenn sie groß ist und sagt. Diesen Mann will ich. B. T. Kidduschin 41

Man soll für Essen und Trinken weniger ausgeben, als man hat für Kleidung so viel wie man hat, und für die Frau mehr als man hat. B. T. Chullin 84

Der Talmud spiegelt, diese Zwischenbilanz sei erlaubt, genau den Aberglauben seiner Zeit in bezug auf die Menstruation, auf Zauberei, auf … kurz, die dem Mann unbegreifliche Andersartigkeit der Frau.

Hier ist auch noch kurz auf das Schir-haSchirim hinzuweisen: durch Rabbi Akiba in den „Kanon“ aufgenommen. Akiba „gewann gegen seine Kollegen“, in dem er erklärte, daß dieses Buch, in dem G’tt nicht erwähnt wird, wohl aber die menschliche Liebe in ihren guten und schlechten Zeiten, ein ganz besonders heiliges Buch sei. In der Gegenwart wurde das Lied als Gabe für jüdische Verlobte übersetzt und gedruckt (Dr. Josef Carlebach aus Hamburg). Zugleich ist es bevorzugte Schabbatlektüre!
Erstaunlich, daß in hier nicht zitierten Teilbereichen durchaus emanzipiertes Frauenbild vermittelt wurde, und daß die heutige Rolle der Frau in der (nicht progressiven) Gemeinde in punkto Selbstbewußtsein hinter dem zurückbleibt, was uns überliefert ist. Erst das progressive Judentum nimmt die Frau wieder als Wesen an, das gleichberechtigt am religiösen Leben teilnimmt.

Allerdings muß hier die Frage erlaubt sein, aus welchen Motiven bzw. mit welcher Begründung das progressive judentum der Frau eine andere Rolle zubilligt. Ärmlich, um nicht zu sagen erbärmlich ist das aus liberalen Kreisen vorgetragene Argument, daß man es sich nicht erlauben könne, die Hälfte der Gemeinde nicht am Gottesdienst zu beteiligen. Im Umkehrschluß bedeutet das, daß die Frauen dann, wenn ihre Zahl sinkt, wieder „auf die Empore zurückgehen“, wenngleich möglicherweise nur im metaphorischen Sinne.
Zur Einschätzung und Wertschätzung der Frau im Judentum vergl. Deutung der Offenbarung am Sinai. Moses erhält von Gott die Anweisung, daß das ganze Volk sich vorbereiten soll, seine Stimme zu hören. Sprich so zum Haus Jakobs, und sage den Söhnen Israels…“ Dazu heißt es in der Exegese: „Haus Jakobs, damit sind die Frauen gemeint, denn die Frau beschirmt den Mann. Gott will zuerst von den Frauen gehört werden. Du, Mose, sprich erst im Namen Gottes sanft mit den Frauen und danach streng zu den Männern, mitsamt allen Konsequenzen, wenn sie Gottes Gebote missachten!“ (Mechilta zur Stelle: Raschi Kommentar)

So spricht auch die Mutter zum König, um ihn zu belehren (Spr. 3 1, 1): „Dies sind die Worte des Königs Lemuel, die seine Mutter ihn lehrte.“
Das Bild der Frau im antiken Judentum zeigt also auf Ebenbürtigkeit, Ehrung, Fortschritt gegenüber einer Umwelt voller Aberglauben und Ängsten. Hier wird die Geliebte und Liebende gerühmt, die Mutter, die anstelle der schwachen Männer handelt, die Schwestern, die ein neues Erbrecht fordern und erhalten.
Auch sonst erscheint das Judentum an einigen Stellen durchaus positiv, was die Einschätzung der Frau angeht.Vielleicht gibt es im Judentum weniger vehemente Konfrontationen zwischen Männern und Frauen, weil eine lange Geschichte der Frauenehrung geprägt hat. Das beginnt mit dem Ja zu Ehe und Sexualität, die nicht als Zugeständnis an den schwachen Leib verstanden werde. Das rabbinische Judentum lehrt die Notwendigkeit der ehelichen Partnerschaft als Weg zum ganzen Menschen. Die Frau ist nicht dem Manne untertan, sie ist Gefährtin. „In allem, was Sara dir sagt, höre auf sie“!!! Die gesamte religiöse Lebensführung in Haus und Familie beruht auf den umfangreichen Kenntnissen der Frauen. Da das Judentum vor allem eine „Religion“ in Haus und Familie ist, bedeutet das mehr als die Wahrung einiger Feiertage
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Zur Selbstbestimmung der Frau gehört die Vorschrift, ihre Zustimmung zur Ehe zu erfragen. Für den Umgang mit der Ehefrau sind als Teil des rabbinischen Rechts Rücksichtnahme und Zurückhaltung geboten. Auch für die Frau gilt, daß Sexualität Freude bereiten soll und nicht etwa eine verbissene Pflichterfüllung darstellt. „Wenn ein Mann eine Frau neu geheiratet hat so sei er vom Militärdienst befreit … er sei freigestellt für sein Haus, und er bereite Freude seiner Frau, die er genommen hat‘. Dies wird im Talmud erklärt: “ es ist Pflicht des Mannes, seiner Frau sexuelle Freude zu geben.“. Der Mann soll sich nach den Wünschen seiner Frau richten, auch wenn sie diese nicht direkt ausdrückt. Während eines Ehekonflikts darf kein Verkehr erzwungen werden, denn solches ist Prostitution. Ein Betrunkener soll sich nicht seiner Frau aufdrängen. Das gleich gilt im Fall einer beabsichtigten Scheidung, Abraham ben David, ein französischer Jurist des 12. Jhdts. n. Z. erklärte dazu. „Diese Dinge sind auch dann untersagt, wenn der eheliche Verkehr notwendig ist, um das Gebot „Seid fruchtbar und mehret Euch“ zu erfüllen. Nachmanides schrieb in seinem Buch über die Ehe. „Du darfst sie niemals zwingen, denn in einem solchen Akt ist die Gegenwart Gottes nicht anwesend…. Streite nicht mit ihr, und schlage sie nicht um des Beischlafs willen. Unsere Weisen lehrten: Wie der trampelnde, fressende schamlose Löwe ist ein unzarter Mann, er schlägt und erzwingt ohne Scham.“ Diese Belange sind verbindlich kodifiziert und stellen somit über ethische Empfehlungen hinaus juristische Sachverhalte fest.

Bei Scheitern der Ehe ist sie kein Gefängnis. Die Scheidung ist seit eh und je möglich, um eine neue, glücklichere Verbindung einzugehen. Auch hier ist die Frau aktiv beteiligt. Sie muss den Get nehmen, eine „Zustellung durch Niederlegung“ gibt es nicht. Seit der Antike kann die Scheidungsklage übrigen sowohl vom Mann als auch von der Frau bei dem Rabbinatsgericht eingereicht werden. In den Ehevertrag kann, um das Verschwinden des scheidungsunwilligen Ehemanns zum Zweck der „Torpedierung“ der Scheidung zu verhindern, eine Klausel aufgenommen werden, nach der sich beide Partner verpflichten, sich nicht böswillig einer Scheidung zu widersetzen. Dann darf das Rabbinatsgericht für den verlassenen Partner die Scheidung durchführen.
Das jüdische Familienrecht setzt die gegenseitigen Rechte und Pflichten fest, die die Partner auf sich nehmen. Um jede (männliche) Willkür von vornherein auszuschließen, standen der Frau weitgehende finanzielle Rechte bei unverschuldeter Scheidung zu, ebenso aber auch bei Vergehen des Mannes gegen seine Verpflichtungen. Bereits seit der Spätantike existiert die Ketuba, der Ehevertrag. Im Text heißt es unter anderem.“ Der Bräutigam sage zur Braut: Ich will dir dienen, dich ehren und für dich sorgen nach der Pflicht jüdischer Männer. Für die ökonomischen Regelungen bin ich und sind meine Nachkommen mit jedem Besitz verantwortlich, den ich habe oder erwerben werde.“ In diesem Vertrag sind seit 2000 Jahren auch die Ansprüche der Witwe an den Besitz festgelegt. Im Eherecht finden sich ausführliche Bestimmungen dazu.
Diese „kurze Einstimmung“ mag genügen, um nun einen oben begonnenen Faden wieder aufzunehmen. Beginnen wir, uns zu fragen, ob die Rolle der Frau g’ttgegeben und unabänderlich festgeschrieben ist, obwohl die Halacha immer auf sozio-historische und sozio-kulturelle Änderungen reagiert hat:

Beginnen wir, gemeinsam die Tora zu lesen. In Gen. 1, 27 lesen wir: „Da erschuf G’tt den Mensch in seinem Ebenbilde, in dem Ebenbilde G’ttes erschuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie“ (Mendelssohn). Gen. 2 berichtet nun etwas genauer, daß zuerst der Mann, danach die Frau erschaffen wurde.
Es gibt also keine Rollenverteilung, nach der die Frau auf Heim und Herd beschränkt wird, auch keine Verpflichtung zu Ehe und Familie, keine Beschränkung im bereich des Kultus, keine Fixierung auf eine bestimmte Lebensform – nur die Aussage, daß männliche und weibliche Menschen erschaffen wurden. Den (uns) Männern sollte zu denken geben, daß die Frauen nach den Männern erschaffen wurden. Wenn es richtig ist, daß G’tt in aufsteigender Folge erschuf, welche Schlußfolgerung ziehen wir dann daraus, daß die Frau nach dem Mann erschaffen wurde?
Greifen wir noch eine andere Stelle aus der Tora heraus. Es wird berichtet von dem Tod eines Mannes. In Anbetracht des Umstandes, daß 600.000 Menschen während der Wüstenwanderung gestorben sind, also statistisch eine Menge von Toten pro Tag zu verzeichnen war, kann der Bericht über den Tod eines einzelnen Menschen nur bedeuten, daß wir zum nachhaltigen Lernen aus dieser Parascha angehalten sind. Was wir lernen, ist (für uns heute) ganz selbstverständlich: Männer und Frauen sind erbberechtigt, hier also: Gleichberechtigung vor dem Gesetz! Die tribale „Einschränkung“ ist dem Zeitgeist geschuldet.
Noch eine andere Stelle ist wichtig, genauer betrachtet zu werden. Über Mirjam, Moses‘ Schwester lesen wir, daß sie eine Prophetin war. Eine gleiche Aussage findet sich wegen einer weiteren Prophetin. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was fehlt, nämlich die Erwähnung der Familie. Ehelosigkeit war also kein Problem, was zugleich verdeutlicht, daß klar gesehen wurde, daß das Gebot, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, durchaus nicht das Lebensmodell für alle Menschen war und auch nicht so verstanden wurde!
Über Michal, um den kurzen Ausflug durch den Tanach zu beenden, wird berichtet, daß sie Tefillin gelegt habe, und aus einer anderen Stelle ist zu entnehmen, daß auch Frauen an den Pilgerfesten teilgenommen haben. Wie sollten sie dann von anderen Pflichten entbunden gewesen sein?
Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die Tora noch keine auf „Küche, Kirche, Kinder“ beschränkte Rolle der Frau kennt. Das bleibt der talmudischen Zeit vorbehalten. Unter dem Deckmantel der Rücksichtnahme und Frauenehrung wird die Frau bzw. ihre Rolle in nicht-tora-gemäßem-Maß eingeengt.
Dieser Widerspruch wurde auch durchaus zu späteren Zeiten gesehen und erkannt. Hier sei nur kurz auf den Aufsatz von Miriam Lübke verwiesen, der sich mit einem bestimmten Responsum befaßt. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß auch im Mittelalter durchaus unumstritten war, daß Frauen zur Tora aufgerufen werden können. Weiter ist auf die denkwürdige Begründung im kizzur schulchan aruch zur Frage des Kaddisch-Betens durch eine Frau zu verweisen. Für die, die den Kizzur als unzeitgemäß aus ihrem Bücherschrank verbannt und ihn nie gelesen haben, hier die zusammengefaßte Erklärung: selbstverständlich spricht nichts dagegen, daß Frauen den Kaddisch beten, abgesehen von „der Ehre der Gemeinde“.
Zum Schluß erlaube ich mir, auf eine „persönliche Schwäche“ zurückzukommen. Bereits oben war die Rede von der dreimalig negativen Definition der Rolle des Mannes, nicht als Nichtisraelit, nicht als Sklave und nicht als Frau geboren zu sein. Ich kann durchaus verstehen, daß die letzte Feststellung die Frauen kränkt und beleidigt, ich bitte nur, diese Passage nicht als Herabwürdigung der Frauen zu sehen, sondern sie in ihrem Kontext zu verstehen: alle genannten Gruppen waren der Tora nicht voll unterworfen, so daß im Endeffekt der Mann dafür dankt, das „Joch der Tora“ voll auf sich nehmen zu müssen. Im übrigen hielt (und halte) ich es aus kompositorischen Gründen für merkwürdig, die Trias der negativen Begründungen durch ein „Duo“ zu ersetzen. Daher würde ich es begrüßen, diesen bekannt nicht frauenfeindlich gedachten (aber so verstandenen) Teil des Morgengebetes aus später noch in nicht-progressiven Siddurim als Option zu finden.
Laßt uns also gemeinsam daran gehen, auf die soziokulturellen Veränderungen fundamentiert zu reagieren und deutlich zu machen, daß die Tora 70 Gesichter hat, und nicht nur eines, und noch dazu ein frauenfeindliches.